Madame Tristesse
Es war an einem grauen Novembertag, als er sie traf. Von da an verbrachten sie jede Minute miteinander. Sie gingen zusammen ins Kino, miteinander essen, unternahmen Reisen und Spaziergänge, schliefen gemeinsam ein und wachten zusammen auf. Sie bekam seine ganze Aufmerksamkeit, immer zu musste er an sie denken.
An einem sonnigen Tag im Frühling unternahmen sie gemeinsam eine Wanderung. Es war eine wunderbare Frühlingssonne und sie hatten das Ziel, den Berggipfel zu erreichen. Er spürte förmlich die Kraft am Fusse des Berges. In regelmässigem Trott ging er den Berg hoch, atmete tief, blieb ab und an stehen, um sich etwas auszuruhen. Er merkte, wie seine Schritte immer kräftiger wurden, wie ein wohliges Gefühl in ihm aufstieg und er das Ziel vor Augen hatte. Immer steiler ging es bergan, doch das machte ihm nichts aus, denn er war von einer ungewöhnlichen Kraft erfasst.
Endlich kam er oben an, erschöpft aber mit einem unglaublich guten Gefühl. Was war es nur? Er schaute sich um und ja, sie war weg - endlich weg. Nun fühlte er sich noch viel besser, liess einen lauten Jauchzer von sich, hebte die Arme in die Luft und schaute in die Weite des Tales.
Er war sie losgeworden, endlich war sie weg - die Traurigkeit. Madame Tristess war verschwunden und er konnte sich wieder den fröhlichen Dingen zuwenden.
Gehört im Radio SRF 1
Das Leben ist wie eine Zugfahrt, mit all den Haltestellen, Umwegen, Unfällen und Begegnungen. Wir steigen ein, treffen unsere Eltern und Grosseltern und denken, dass sie immer mit uns reisen werden, aber an irgendeiner Haltestelle werden sie aussteigen und wir müssen unsere Reise ohne sie fortsetzen.
Doch es werden viele Passagiere in den Zug steigen, unsere Geschwister, Nachbarn, Freunde, Kollegen, Fremde ja vielleicht sogar die Liebe des Lebens. Viele werden aussteigen und ein grosse Leere hinterlassen. Bei anderen werden wir gar nicht merken, dass sie ausgestiegen sind.
Es ist eine Reise voller Freuden, Leiden, Begeisterung, Entdeckungen, Begrüssungen und Abschied. Der Erfolg besteht darin, zu allen eine gute und geklärte Beziehung zu haben. Das grosse Rätsel ist, wir wissen nie, an welcher Haltestelle wer oder sogar wir selber aussteigen müssen.
Deshalb sollen wir leben, lieben, mutig sein, verzeihen und immer unser Bestes geben. Denn wenn der Moment gekommen ist, wo wir aussteigen müssen und unser Platz leer ist, sollen nur schöne Gedanken an uns bleiben und für immer im Zug des Lebens weiter reisen.
Ich wünsche dir, dass auf deiner Reise jeder Tag schöner wird, du immer Glück, Kraft und genügend Liebe im Gepäck hast.
unbekannt